Montag, 16. Dezember 2013
Manuskript "Berufung ohne Beruf - Requiem auf einen Traum"
Dieses Feature wurde 2012 auf SWR2 erstmals ausgestrahlt. Hier gibt es das Manuskript zum Nachlesen.


SWR 2
Redaktion Hörspiel und Feature
Wolfram Wessels



Manuskript


Berufung ohne Beruf.
Requiem auf einen Traum.

Eine radiophone Dokumentation von Annett Krause und Matthias Hilke

2012
54 min

Realisation:
Wolfram Wessels, Matthias Hilke, Annett Krause

Sprecher und Sprecherinnen:
Katharina Zapatka, Sebastian Mirow, Karl-Rudolf Menke uns Andreas Serdar

Ton und Technik:
Johanna Fegert und Bettina Krol



Musik: Dawn (Cinematic Orchestra); liegt unter folgender Einleitung und endet vor der Anmoderation

Michael Bahn: Wir haben uns ja tatsächlich vorgenommen, nicht zu jammern. Jedes Mal. Und jedes Mal erschien am Ende ein Bericht, in dem der Fokus darauf gelegt wurde, wie schlecht es uns geht, wie arm wir dran sind und dass doch etwas passieren müsse. Dass wir aber gerade dabei sind etwas zu tun, das fiel irgendwie immer hinten unter.

Sprecher: „Unterschicht mit Doktortitel“, „Intelligenz in Deutschland verhungert“

Michael Bahn: Und dann war man plötzlich „Dr. Pleite“, „Schlau aber arm“ oder ein „Tagelöhner in der Wissenschaft“.

Sprecher: „Exzellente Lehre zu Dumpingpreisen“, „Ausbeutung im Dienst der Wissenschaft“

Sabine Volk: Also ich durfte z.B. in den seltensten Fällen irgendwelche sachlichen Fragen beantworten. Ich wurde immer sehr intensiv gefragt, wie ich mich denn fühle.

Sprecher: „Betteldozenten“, „Prekarisierung der Wissenschaft“

Dirk Linck: Ich mache das solange ich irgendwie an dieser Institution damit durchkomme. Und ich bin selber überrascht, dass es zwanzig Jahre geklappt hat.

Sprecher: „Lehre zum Spottpreis“, „Die Billigheimer der Wissenschaft“

Elisabeth Meyer-Renschhausen: Weil als Intellektuelle oder als der Wissenschaft sich verschrieben Habende wollen sie ja gar nicht so sehr viel Geld, also sie kommen schon mit ein bisschen Weniger aus. Sie gehören nicht zu dem szs. Geldbürgertum, ja.

Sprecher: „Unisklaven – vereinigt euch!“

Sabine Volk: Es geht aber auch gar nicht darum, „Dr. Pleite“ zu sein oder über „Dr. Pleites“ zu berichten, sondern die ganze Problematik, die Gesamtproblematik in der Bildung aufzudecken.

Atmo: Musik aus, automatische Tür öffnet sich


Ansage
Sprecher: Berufung ohne Beruf. Requiem auf einen Traum. Eine radiophone Dokumentation von Annett Krause und Matthias Hilke

Atmo: Unigeräusche: Türen, Schritte, Stimmen, folgendem O-Ton unterlegt

Sprecher :
Kapitel 1: Introitus -Wir sind gekommen, um zu bleiben

O-Ton Heidegger: „Was heißt Denken? Wir gelangen in das, was Denken heißt, wenn wir selber denken. Damit ein solcher Versuch glückt, müssen wir bereit sein, das Denken zu lernen.“

Atmo: Klopfen auf Tische im Seminar

Sprecher: 2008 rief die Bundeskanzlerin Deutschland zur Bildungsrepublik aus. Die Bolognareform, Exzellenzinitiativen, Preise für exzellente Lehre, Eliteuniversitäten, Graduiertenschulen, Juniorprofessur und Novellen verändern seit Beginn des neuen Jahrtausends das deutsche Hochschulwesen. Exzellenz und geistige Elite wohin das Auge blickt – so möchte man meinen. Hochqualifizierte sind gefragt und gelten als deutscher Exportschlager. Bildung also, die wertvollste Ressource Deutschlands. Hergestellt in den Universitäten und Hochschulen.

In einer dieser Denkfabriken, der Humboldt Uni zu Berlin, ging ich 2011 die Treppe hinauf. Jede der 56 Treppenstufen war mit dem Hinweis „Vorsicht Stufe“ versehen. Eine Kunstaktion erfahre ich. Was immer die Künstlerin sagen wollte, ich stellte mir vor, dass so mancher Dozent, der diese Stufen tagtäglich erklimmt, an den risikoreichen, ja gefährlichen Weg erinnert wird, den er mit seiner angestrebten Karriere verfolgt.

Atmo: Kita

Sabine Volk:
Sabine Volk: Sing doch mal!
Sabines Tochter singt: Stups, der kleine Osterhase fällt andauernd auf die Nase…
Sabine Volk singt: ganz egal wohin er lief
Sabines Tochter singt: immer ging ihm etwas schief.
Sabine Volk: Was mache ich als Beruf? Weißt Du es noch?
Sabines Tochter: Weiß ich gar nicht.
Sabine Volk Bin ich vielleicht eine Lehrerin?
Sabines Tochter: Nein.
Sabine Volk Sondern, was bin ich? (Flüstert): Dozentin.
Sabines Tochter: Dozentin.

Sabine Volk: Ich habe eine dreieinhalb jährige Tochter. Ich bin Doktorandin kurz vorm Abschluss meiner Promotion.
Ich komme aus einem Elternhaus, das prädestiniert dafür ist eine Akademikerin hervorzubringen. Meine Eltern sind beide Lehrer, verbeamtete Grund- und Hauptschullehrer in Bayern. Auch mein Großvater war Grundschullehrer. Ja, das Lehren liegt szs. in der Familie. Deswegen wollte ich auch auf keinen Fall Lehrerin werden (lacht).
Ja, ich habe in München, Heidelberg, Straßburg, Potsdam und Berlin studiert.
Ich habe ja insgesamt 5 Kurzzeitstipendien erhalten. Zuletzt wurde ich auch noch Junior Teaching Professional an der Uni Potsdam. Das ist ein Programm, das die Uni gestartet hat, nachdem sie den Preis für Exzellenz in der Lehre gewonnen hat. Insofern bin ich schon fast zertifizierte Lehrende.

Sprecher: Sabine Volk. Geboren 1979. Ihr Magisterstudium der Politikwissenschaft, Germanistik und Psychologie hat sie vor 6 Jahren mit 1,0 abgeschlossen.

Atmo: Schritte, Treppe rauf

Michael Bahn: Also ich bin groß geworden in einem Elternhaus im Ostteil Berlins.

Sprecher: Michael Bahn ist Jahrgang 1981. Er hat sechs Jahre Literaturwissenschaft, Linguistik und Religionswissenschaft an der Uni Potsdam studiert.

Michael Bahn: Ich habe einen Abschluss mit Auszeichnung.

Sprecher: Seit 2009 ist er Promotionsstudent in Potsdam. Er hat zusammen mit Sabine Volk die Initiative gegründet, die sich mittlerweile für Rechte von Lehrbeauftragten an Universitäten in ganz Deutschland einsetzt. Sie nennen sich Intelligenzija Potsdam.

Michael Bahn: Also, für mich ist ganz klar, ich schließe meine Promotion ab. Ich würde sehr gern weiterhin lehren.

Atmo: Schritte, Treppe rauf

Dirck Linck: Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, in der das nicht üblich war, höhere Schulabschlüsse zu machen, und habe dann geglaubt wie alle in meiner Familie, dass man dann irgendwann arbeiten muss und habe dann angefangen als Justizbeamter eine Ausbildung zu machen. Habe da dann nach wenigen Wochen gewusst, dass das nicht meine Zukunft ist, habe aber auch gewusst, das diese Beamtenausbildung recht gut bezahlt ist und habe das dann ein Jahr lang gemacht, um nachzudenken, was ich eigentlich machen will und habe mich dann entschieden, dass zu nehmen, was am weitesten entfernt ist a) von der Welt, aus der ich gekommen bin, also einer relativ hart körperlich arbeitenden Arbeiterwelt und gleichzeitig weit weg von diesem Beamtenunwesen, das ich als Justizbeamter erfahren habe. Und da schien mir die Kombination Literaturwissenschaft und Geschichte relativ ideal zu sein.

Sprecher: Dr. Dirck Linck wurde 1969 in Hannover geboren. Er studierte von 1983 bis 1989 Literaturwissenschaft und Neuere Geschichte an den Universitäten Hamburg und Hannover. Seinen Doktor hat er 1992 gemacht und arbeitet derzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für deutsche Literatur an der Humboldt Universität Berlin.

Atmo: Schritte, Treppe rauf

Rahel Jaeggi: Also ich habe angefangen zu studieren, habe nach dem Grundstudium eine Tutorenstelle gekriegt, also so eine Tutorenhilfskraftstelle, habe dann auch mehr oder weniger aufgehört zu jobben nebenbei, also ich habe ja auch ein bisschen später angefangen zu studieren, weil ich das Abitur nachgemacht habe. … Also ich hatte die Stelle, dann bis zum Ende des Studiums. Dann gab’s mal eine ganz kurze Zwischenzeit und ab dann hatte ich während der Promotion eine wissenschaftliche Mitarbeiterinnenstelle, nach der Promotion oder nach diesen ersten 5 Jahren hatte ich ein paar Monate in der Schweiz, dann war ich ein Jahr in den USA und habe da unterrichtet, kam zurück und hatte die nächste Stelle, also die Habilitation- also die Assistentenstelle.

Sprecher: Rahel Jaeggi ist Anfang Vierzig. Sie hat Praktische Philosophie an der FU Berlin studiert, promovierte 2002 und habilitierte 2009 in Frankfurt/Main. Sie ist verheiratet, hat einen Sohn, lebt mit ihrer Familie in Berlin und arbeitet an der HU.

Atmo: Schritte, Treppe rauf

Sprecher: Frau Dr. habil. Elisabeth Meyer Renschhausen ist Privatdozentin. Sie studierte Sozialwissenschaften, Geographie, Politologie und Germanistik in Marburg und Bremen. Sie promovierte 1989.

Elisabeth Meyer-Renschhausen: Und dann wurde in der Zeit, bspw. im Bereich der Frauen, wurden wir aufgefordert, wir sollten doch bitteschön habilitieren, weil es würden ja demnächst so viele Stellen frei, da würden wir ja alle zweifelsohne Stellen bekommen. Das war noch Anfang der 90er.

Sprecher: Sie habilitierte schließlich 1998 im Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Sie ist im Besitz des höchsten Abschlusses, den man in Deutschland im akademischen Bereich erreichen kann. Sie versteht sich als freischaffende Wissenschaftlerin und Journalistin und ist Mitglied der Initiative Berliner Privatdozenten. Einen Lehrstuhl hat sie nicht.

Musik: Cinematic Orchestra „Colours“


Sprecher:
Kapitel 2: Kyrie - Warum wir das machen

O-Ton Horckheimer: Dieser Mensch aber wird beeinflusst von der Struktur der Gesellschaft, in der er lebt, die eine Tendenz hat, nämlich seine psychischen Energien so zu gestalten, dass der Mensch das gerne tut, was er tun muss, damit diese Gesellschaft in ihrer speziellen Form existieren kann.

Sprecher: So unterschiedlich die Herkunft und die Beweggründe, so unterschiedlich die Grade der Qualifikation auch sein mögen, wer an der Uni Karriere machen will, wird die Professur anstreben. Denn nur die Professur eröffnet die Möglichkeit einer Festanstellung, Sicherheit und adäquater Entlohnung. Der Lehrstuhl ist der einzige sichere Stuhl im Lehr- und Forschungsbetrieb einer Universität.
Dennoch lockt die meisten nicht nur die Aussicht auf Geld und Sicherheit. Vielmehr folgen sie mit ihrer Karriere einem Traum, für dessen Erfüllung sie gewillt sind, alles zu geben.

Matthias Neis: Die Arbeit ist eben nicht nur belastend, sondern auch unheimlich sinnstiftend und unheimlich befriedigend, in ‘ner gewissen Weise, gleichzeitig. Aber entweder sie sagen: „Im Moment geht’s noch und irgendwann geht’s mir besser" oder dass sie halt sagen, "ja aber, die Sache gibt mir halt so unheimlich viel und ich will das jetzt. Ich will das jetzt!"

Sprecher: sagt Matthias Neis von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.

Michael Bahn: Ich wusste, ich liebe die Literatur, ich bin mit der Literatur groß geworden, also studiere ich sie.

Atmo: Buch wird aufgeschlagen

Dirck Linck: Also da soll man nicht rumlügen, das ist schon ein Gefühl von Stolz. Wenn die gesamte Verwandtschaft hoch beeindruckt ist, weil es noch nie einen Doktor in der Familie gegeben hat. Ich habe unverzeihliche Dinge in den ersten Monaten getan, als ich promoviert war. Ich habe den Doktor glaube, wurde er ans Klingelschild gemacht oder ich habe zumindest nicht verhindert, dass die Hausbesitzer es getan haben, als sie davon erfuhren. Also all diese eigentlich ganz, ganz, ganz schäbigen Dinge des Stolzes, aber da würde ich lügen, wenn ich nicht sagen würde, nicht eingestehen würde, dass ich das auch hatte. Das waren dann vier wahnsinnig harte Monate, weil ich eben geschlampt hatte. Ich wurde dann von Freunden durch das Fenster ernährt. Ich kriegte dann täglich, ich wohnte Parterre, mein Essen rein gereicht und habe dann 16, 17 Stunden täglich wirklich an dieser Diss. gesessen. Und als die dann abgegeben war und ganz gut benotet war und auch das Zweitgutachten gut war, na klar, da war ich schon stolz und hatte das Gefühl, dass ich etwas geleistet habe. Tja, da war ich stolz.

Atmo: Buchseiten blättern

Rahel Jaeggi: Ich habe, das weiß ich ziemlich genau, die erste Seite geschrieben, als mein Mann den ersten Tag Erziehungsurlaub hatte, als unser Sohn gerade 10 Monate alt war. Und ich hatte mir vorgenommen, ab dem Moment geht’s jetzt wirklich an die Habilitation und ich habe es dann auch so gemacht. D.h. wie lange habe ich denn geschrieben? Ich habe geschrieben von 2006 bis 2009, na so drei Jahre. Aber das ich die überhaupt in relativ kurzer Zeit geschrieben habe, hing tatsächlich in meinem Fall damit zusammen, dass ich wusste, dass das für eine Bewerbung sehr sinnvoll wäre, habilitiert zu sein.

Atmo: Buchseiten blättern

Michael Bahn: Also, für mich kommt die Motivation weiter in diesem Bereich erst mal zu arbeiten ganz klar aus der Arbeit mit den Studierenden. Wenn ein Seminar gut läuft und man etwas zurück bekommt, wenn man einfach merkt, die entfachen jetzt ein Feuer. Die sind angeregt von dem Thema, das man sich vorher überlegt hat, das man eingereicht hat, das ja einen langen Prozess durchlaufen hat, bis man das irgendwie durchbekommen hat, das ist der entscheidende Moment, wo man weiß: Ja! Das gibt dir was. Davon zehrt man.

Sprecherin: Es braucht ein besonderes Interesse, um sich über Jahre mit der Erforschung eines bestimmten Spezialgebiets zu beschäftigen. Gerade im Bereich der Geisteswissenschaften ist das Sichtbarmachen der Relevanz oft schwierig. Es entsteht kein Produkt, das sich am Ende einfach und gewinnbringend vermarkten lässt. Vielen von ihnen geht es anscheinend nach wie vor um hehre Ziele, die unsere Kultur, unsere Gesellschaft betreffen.

Matthias Neis: Tja, Pierre Bourdieu hat das mal den wissenschaftlichen Habitus genannt. WissenschaftlerInnen sehen sich nicht als Arbeitnehmerinnen. Sie sehen sich als professionals würde man vielleicht sagen. Als Leute, die an der vordersten Front, an ‘ner gewissen Forschungsrichtung arbeiten und das, was die da bearbeiten, das lesen die anderen vielleicht in 5 Jahren in der Zeitung. Das ist eine Motivation, die mehrere Auswirkungen hat. Die erst Auswirkung ist das, dass man sich tatsächlich als privilegiert empfindet, als dass man sich als (lacht) ausgebeutet empfindet. Die zweite Auswirkung ist eine gewisse Individualisierung. Die Konkurrenz ist groß und auf meinem Gebiet gibt es vielleicht ne Hand voll von Leuten, die sich in ähnlicher Weise so auskennen wie ich. Auch ne gewisse Individualisierung. Und es führt gleichzeitig auch dazu, dass man halt ne intrinsische Motivation aufbaut. Die kommt also nicht von außen, also dadurch, dass ich hier Geld verdiene, leiste ich hier, sondern die kommt aus der Sache selbst.

Atmo: Buchseiten blättern

Olaf Jann: Das ist natürlich immer so eine gern gestellte Frage: Warum macht man das? Es sind eigentlich im Kern diese Leute, die über viele, viele Jahre dennoch dabei bleiben, sind eigentlich hoch motivierte Leute. Es sind gerade die Leute, die eben besonderes Interesse daran haben Lehre und Forschung zu machen.

Sprecher: Dr. Olaf Jann ist zurzeit Lehrbeauftragter für besondere Aufgaben an der Uni Siegen im Institut für Soziologie und gleichzeitig Lehrbeauftragter an der Uni Marburg. Er promovierte 2002.

Olaf Jann: Von außen bekommt man keine Motivation. Identitätsbildung über den Job funktioniert ja auch über Anerkennung. Anerkennung bekommt man im universitären Bereich auch ausgesprochen marginal, um nicht zu sagen, gar nicht.

Atmo: Buch wird zugeschlagen

Sprecher:
Kapitel 3: Tractus - Not macht erfinderisch

Atmo: Campus (Stimmengewirr, Lachen), Studenten strömen in eine Vorlesung, Atmo fließt in den Sprechertext ein

O-Ton Adorno: Mir will es so vorkommen, als ob das, was subjektiv dem Bewusstsein nach dem Menschen abhanden gekommen ist, die Fähigkeit ist, ganz einfach: das Ganze sich vorzustellen, als etwas, was völlig anders sein könnte.

Sprecherin: Mehr als 2,2 Millionen Studenten waren zu Beginn des Wintersemesters 2010/11 an 418 Hochschulen und Universitäten in Deutschland eingeschrieben. Die meisten Studienanfänger finden sich in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gefolgt von Ingenieurswissenschaften und Mathematik / Naturwissenschaften.
2010 gab es bundesweit 40 000 Professorenstellen, die forschen und lehren. An der Uni Potsdam bspw. ergibt sich so ein Verhältnis von 1:100, also 1 Professor für 100 Studenten. Die größte Gruppe von Angestellten unterhalb der Professuren sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie übernehmen den größten Teil der Lehre. Davon gibt es annähernd 150 000. Ihre Verträge laufen im Höchstfall drei Jahre. Allerdings ist die Lehre nicht ihr primäres Interesse. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Forschung, denn die meisten von ihnen arbeiten an einer Dissertation oder Habilitation. Weil die Hochschulen nach eigenen Aussagen finanziell nicht in der Lage sind, weitere befristete Stelle einzurichten, müssen neben Privatdozenten Lehrbeauftragte mithelfen, die grundständige Lehre abzudecken. Im Laufe der letzten zehn Jahre ist daher die Zahl der Lehrbeauftragten bundesweit um 40 Prozent gestiegen. Aktuell gibt es 77 000 Lehrbeauftragte an deutschen Hochschulen.
Sie alle haben Honorarverträge. Können diese die Basis für eine akademische Karriere sein?

Matthias Neis: Vielleicht fangen wir mal so an. Wenn man sich den berühmt gewordenen Vortrag "Wissenschaft als Beruf" mal anguckt, der 1918 glaube ich gehalten wurde, da heißt es dann ungefähr "wissenschaftliche Karriere ist ein wilder Hazard". Das ist Max Weber jetzt, ganz genau. Und wilder Hazard bedeutet ja nichts anderes, als dass es immer ungewiss ist, man muss Risiken eingehen. Man kann es sich eigentlich nur leisten, wenn man einerseits zu Entbehrungen bereit ist und andererseits den Hintergrund mitbringt, sozusagen, und wenn man das mit der Situation heute vergleicht, dann hat sich da gar nicht viel geändert.

Sprecherin: Sagt Dr. Matthias Neis von Ver.di.

Dirck Linck: Ich würde auch sagen, natürlich hat es an der Universität, hat es immer so bestimmte Erwartungen gegeben: Der junge Wissenschaftler muss häufig wechseln, muss seine Erfahrungen machen. Aber dies immer, und das ist der entscheidende Unterschied, vor dem Hintergrund einer ökonomischen Perspektive, die hieß, wenn er das brav macht und ein weitgehend Willfähriger ist, aber auch, wenn er was kann und da darf er sogar Momente des querköpfigen und eigensinnigen haben.
Wenn er das ein paar Jahre durchgehalten hat, dann hat er eine feste und stabile ökonomische Zukunft. Das gilt weder heute für den Rest der Bevölkerung noch für das akademische Prekariat.

Rahel Jaeggi: D.h. es ist schon so, dass bei uns - also in Deutschland - die Akademiker die Unsicherheit und so dieses Gefühl, dass es ganz lange noch sich entscheidet zwischen Hartz IV und W3 gewissermaßen. Das ist schon außergewöhnlich.

Sprecherin: Hartz IV Höchstsatz: 359 Euro. W3, die höchste Besoldungsstufe eines Lehrstuhlinhabers: 5280 Euro.

Rahel Jaeggi: Aber das ist auf jeden Fall eine Sache, die einfach für den akademischen Bereich sehr prägend ist und die Leute sehr lange in sehr großer lebensgeschichtlicher Unsicherheit schweben lässt. Und das ist natürlich nicht günstig.

Atmo: Uhr tickt

Olaf Jann: Nur Deutschland ist ein System, das sozusagen noch Reste dieser alten Ordinarienuniversität hat, die alles auf die Professur zuschreibt. Die sind verbeamtet. Eine relativ kleine Gruppe im deutschen Hochschulsystem ist verbeamtet und da drunter gibt es kaum Festangestellte.
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. 2% der Angestellten sind in Festangestellten-, in unbefristeten Verhältnissen. Alle anderen arbeiten irgendwie befristet über ganz kurze Zeit - ein halbes Jahr, ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre - in diesem System.

Atmo: Uhr tickt

Michael Bahn: Ich habe einen Abschluss mit Auszeichnung. Was mache ich? Ich bettele momentan überall, wo es geht, um Geld.
D-h- ich bettle und bettle und bettle um Geld, und wenn ich bei den Stiftungen nichts bekomme, dann gehe ich mit Ende 20, bald Anfang 30 zu meinen Eltern und muss dort um Geld bitten. Meine Eltern geben es gern und das, was sie irgendwie abknapsen können, das stecken sie mir auch zu, aber ich bin jetzt 28. Und das ist ... das zehrt! Das zehrt extrem an der Selbstachtung. Ganz, ganz stark. Da ist es dann tatsächlich soweit, dass ich sage, also bis August halte ich durch - das habe ich durchgerechnet – wenn ich da weniger esse und dort weniger kaufe und Theater und Kino, das brauchen wir gar nicht mehr drüber reden. Das gab´s schon nicht mehr seit Monaten. Irgendwie kriege ich das hin durchzuhalten und vielleicht kommt ja ein Antrag durch, der ja auch in zehn bis zwölf Wochen immer bearbeitet wird. Es ist ja nicht so, als würde das überall schnell gehen. Und dann sage ich, ja, und dann bin ich pleite, dann muss ich aufhören. Und dann muss ich mir eben was anderes suchen und dann sagt meine Mutter immer:"Nein! Wir ziehen das jetzt durch. Irgendwo kriegen wir das Geld schon her. mach dir da mal keinen Kopf!" Und das will ich nicht mehr! Ich will das nicht mehr mit Ende zwanzig, dass meine Mutter zu mir sagt: „Du schaffst das schon irgendwie. Ich helfe dir!"

Atmo: Uhr tickt schneller

Rahel Jaeggi: Im Grunde ist das eine überhaupt nicht zu akzeptierende Situation. Also, wenn man nachweisen kann, dass die grundständige Lehre und bestimmte Dinge, die angeboten werden müssen, damit die Studierenden überhaupt ihre Module erfüllen können, wenn das irgendwie zu großen Teilen auf den Schultern von prekär Beschäftigten. Also, das geht natürlich überhaupt nicht.

Atmo: Uhr tickt

Sabine Volk: Der Personalrat hat uns gesagt, in den letzten Jahren hat die Uni Potsdam Lehraufträge im Umfang von ca. 400-500 Lehrveranstaltungen zur Sicherung des Pflicht- bzw. Wahlpflichtangebots eingesetzt. Das entspricht ungefähr 25-30 Vollzeitstellen, die dadurch eingespart wurden, bzw. 50-60 Halbzeitstellen.

Sprecher: Im Klartext heißt das: deutsche Hochschulen sichern ihre Defizite im Lehrangebot durch externe Lehrbeauftragte ab. Hierzu zählen eben diese 77.000 Lehrbeauftragten. Eine Umfrage des Deutschen Hochschulverbandes stellt 2010 fest:

Sprecher: „Da Not erfinderisch macht, stehen manche Lehrbeauftragungen unter dem Verdacht, eigentlich Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern vorbehaltene Lehraufgaben für wenig Geld zu delegieren.“

Matthias Neis: Der Hintergrund eigentlich dieser Lehrbeauftragten war, ein relativ kluger Gedanke, Praktiker in die Lehre zu integrieren, die woanders ihre Hauptbeschäftigung haben und jetzt für die akademischen Meriten ein Zusatzangebot machen. Praxis in die Hochschulen bringen. Also Lehrbeauftragte sind ein wachsendes Heer, die kein richtiges Anstellungsverhältnis haben, sondern einen Lehrauftrag, so wie ein Honorarvertrag von der jeweiligen Hochschule erhalten. Und es gibt keine Entlohnung, sondern eine Aufwandsentschädigung.

Sprecherin: Die wenigsten Lehrbeauftragten heute kommen allerdings aus einem festen Anstellungsverhältnis an die Uni, um ihre praktischen Erfahrungen weiter zu reichen. Es sind vielmehr Promotionsstudierende wie Sabine Volk oder Michael Bahn, Promovierte wie Dr. Dirck Linck, Wissenschaftliche Mitarbeiter wie Olaf Jann und Privatdozenten wie Elisabeth Meyer-Renschhausen, die ihr Haupteinkommen keineswegs aus Beschäftigungen außerhalb der Universitäten erzielen, sondern auf die Aufwandsentschädigungen für die geleistete Forschungs- und Lehrtätigkeit angewiesen sind, um zu überleben.

Interviewerin: Frau Volk, Sie haben mir heute Morgen, ich habe es mir aufgeschrieben, um 6:17 Uhr eine E-Mail geschickt. Wann fängt Ihr Tag an?
Sabine Volk: Ja, das frage ich mich manchmal auch, also ich bin gestern - war ich auf einem Vortrag im Einsteinforum und bin dann nach Hause gekommen, musste mein Seminar vorbereiten, ich saß bis zwei Uhr und meine Tochter schläft so bis halb acht. Dadurch, dass in der Uni die Arbeit relativ spät beginnt, relativ spät, ist das ein Luxus, den sie hat, und da muss ich natürlich bevor sie aufwacht und bevor ich ihr ein Frühstück mache, muss ich mich an den Schreibtisch setzen und vielleicht auch noch was für mein Seminar vorbereiten bzw. überhaupt diesen Tag planen, um alles unter einen Hut zu bringen. Also, ich habe immer so Phasen. Ich schlafe so vier bis fünf Stunden unter der Woche und brauch´ dann aber mal wieder einen Tag, wo ich dann doch ein bisschen Schlaf nachholen kann.
Interviewerin: Und wie viele Tage hat die Woche?
Sabine Volk: Naja, als Doktorandin kurz vorm Abschluss - sieben. Das ist eine große Belastung, großes Problem, aber das ist auch schön mit einem Kind zwangsweise eine Struktur haben zu müssen, denn die möchte ich meiner Tochter auch geben. Und letztlich zwingt es mich dazu, mich noch mehr zu disziplinieren.

Sprecherin: Diese Disziplin ist mittlerweile dringend nötig. Nicht nur im Privaten, sondern vor allem in Hinsicht auf die akademische Karriere. Denn die Grenzen der Qualifikationsphasen wurden 2007 streng reglementiert. Seit der Einführung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes gilt es bundesweit.

Atmo: mehrere Uhren ticken, auch als Hintergrund für folgenden O-Ton

Matthias Neis: Sie dürfen im Wissenschaftssystem eigentlich nur 6 Jahre bis zur Promotion und 6 Jahre nach der Promotion befristet arbeiten. 2 mal 6 Jahre darf man das. Wer danach keine Dauerbeschäftigung bekommt, der ist raus.

Atmo: Uhr hört auf zu ticken

Olaf Jann: Das nennt man so im Fachjargon Verschrottung des Mittelbaus, oder Verschrottung der Privatdozenten. Das hat ein Staatssekretär mal so benutzt den Satz, also auch in voller Absicht, wo man weiß, es ist der tatsächliche politische Wille auch gewesen, diese Leute aus dem System zu kriegen.

Dirk Linck: Man muss sich klar machen, kein Mensch kauft sich eine Wohnung, kein Mensch gründet leichtfertig eine Familie, wenn er immer nur für 2, 3, höchstens 4 Jahre, manchmal nur für ein halbes Jahr durch Verträge abgesichert ist. D.h. man schafft eine solch große Unsicherheit unter den Dozierenden, dass es eben auch auf die Qualität der Lehre durchschlägt.

Atmo: Uhr

Elisabeth Meyer-Renschhausen: Mit dieser 1. Kohlregierung fing es an, dass man auf so eine Art Eliteausbildung setzte, also man wollte mehr Professuren aber keinen Mittelbau mehr, obwohl man bis dahin die Politik gefahren hatte, etwas mehr Lehre, mehr Mittelbauern nannte man die, also wissenschaftliche Mitarbeiter, Assistenzprofessoren, auch auf Zeit und um mehr Unterricht anbieten zu können. so wurde die Situation für die Privatdozenten immer schlechter und immer mehr Privatdozenten bekamen nie mehr eine Stelle. Also Leute, die, weiß ich nicht, 6, 7, 8 oder mehr Jahre in ihre eigene Qualifikation gesteckt haben, die kann man hinterher nicht so behandeln, als hätten sie in der Zwischenzeit gar nichts getan. In den glücklichsten Fällen haben Privatdozenten dann Ehefrauen, die Lehrer sind oder anderweitig ordentlich verdienen, so dass es nicht so viel ausmacht.
Also von wegen, die deutschen Universitäten gehen besonders schlecht mit ihren Privatdozenten um, indem sie die gar nicht bezahlen. Die Privatdozenten bekommen gar nichts, die bekommen in Berlin wenn man alleine unterrichtet und auch nur dann 153€ pro Semester, also ungefähr die Busfahrkarten zur Uni hin und zurück. Da kann man sich dann auch seine Habilitation an den Hut stecken (lacht).

Atmo: Uhr

Rahel Jaeggi: Es ist ja so, dass jemand, der habilitiert ist, muss lehren. Also, der muss, damit die Habilitation nicht verfällt, muss der in regelmäßigen Abständen an dem Institut, an dem er habilitiert ist, lehren. Und das wird, wenn man Glück hat, bezahlt, wenn das Institut sich das leisten kann. Aber sicher ist das keineswegs.

Atmo: Uhr

Matthias Neis: Und jetzt gibt es das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dass das völlig aufgeweicht hat, mit der Aussage, solange der Hauptanteil der Beschäftigung über Drittmittel finanziert wird, gibt es keinen szs. Grenze, Altersgrenze. Und seit es das gibt, ist natürlich auch so eine Karriere denkbar, die halt von Befristung zu Befristung bis hin zur Verrentung führt.

Sprecherin: Drittmittel sind Gelder, die nicht direkt aus den Hochschuletats kommen und zu über 90% von der Deutschen Forschungsgemeinschaft vergeben werden, der Rest kommt aus der freien Wirtschaft. Drittmittel müssen beantragt werden - eine zeit- und kraftraubende, hochunsichere Angelegenheit.

Olaf Jann: D.h. wenn sie im geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Bereich arbeiten, ist die Chance Drittmittel einzuwerben marginal. Ich kenne Fälle aus Münster, da hatten die Drittmittel eingeworben, aber es wurden trotzdem die Verträge nicht verlängert.
D.h. für viele stellt sich dann auch gar nicht mehr die Möglichkeit die Habilitation überhaupt zu machen, weil sie eben gar nicht mehr sozusagen dieses Zeitdeputat haben an der Universität beschäftigt zu sein, ´ne Stelle zu kriegen. D.h. also, wenn man dieses Zeitdeputat ausgeschöpft hat, dann kann man nur noch arbeiten, wenn man eine Professur hat.

Atmo: Uhr aufziehen

Rahel Jaeggi: Ich meine, die Habilitation ist ja nun gerade sehr umstritten und es wird ja auch immer wieder mal behauptet, die wird eigentlich tendenziell abgeschafft. Und es ist viel kritisiert worden, dass die Habilitation eigentlich etwas ist, das die deutschen Wissenschaftler hindert, was ein Hemmnis ist, weil sie eben noch einmal so viele Jahre an ein Projekt hängen müssen, das eben doch noch sehr reglementiert ist.

Sprecherin: 2002 wurde durch die 5. Novelle des Hochschulrahmengesetzes das Konzept der Juniorprofessur eingeführt. Demnach können Promivierte innerhalb von 6 Jahren eine Juniorprofessur erlangen. Dies stellt eine Alternative zum Habilitationsverfahren dar, die alt hergebrachte Voraussetzung den Ruf auf eine Professur zu erhalten.

Rahel Jaeggi: Juniorprofessuren sind eigentlich das, was in den USA oder in England Assistent Professors sind, das sind Stellen, die man nach der Promotion kriegt und die dann auch über 6 Jahre gehen und die dann eigentlich eine Habilitation ersetzen. Die Frage ob das so ist oder nicht, wird der Arbeitsmarkt (lacht) zeigen, wobei die meisten Juniorprofessorinnen, die ich kenne, auch gleichzeitig trotzdem habilitieren. Aber genau genommen müssten sie das nicht.
Eines der großen Probleme der Juniorprofessur ist, das nicht klar ist, wie die verstetigt werden können.
Wenn du in der Zeit das publiziert hast und das gemacht hast und auch als Kollege dich in der Weise bewährt hast, wie das eben gewünscht ist und erfordert ist, dann kann diese Stelle verstetigt werden. Und das heißt tenure track, und das irgendwie das, worauf man hinaus will damit. In Deutschland hat man aber diese Juniorprofessuren eingeführt, ohne sich so richtig vorher schon festzulegen und drum zu kümmern, dass es dann auch genau diese Option auch geben müsste.
Aber eine sehr viel frühere Festanstellung ist damit jetzt auch nicht unbedingt verbunden.

Musik: Jon Brion „Tibe Hurt lets“

Sprecher:
Kapitel 4: Offertorium - Wer lehren will, muss leiden

O-Ton Adorno: Sie müssen in jedem Augenblick bereit sein, an jeder Stelle zu funktionieren und nur wenn sie diese Bereitschaft ununterbrochen unter Beweis stellen, dann entgehen sie der universalen Drohung der Arbeitslosigkeit.

Sprecherin: Weder Habilitation noch Juniorprofessur führen also automatisch zum Professorenstuhl und somit zu einer unbefristeten Festanstellung. Die Entscheidung ob, wann und wer berufen wird, liegt einzig bei den jeweiligen Hochschulen und Instituten. Ungefähr 10 000 Privatdozenten sind aus diesem Grund auf der Suche nach Gastprofessuren und Lehraufträgen. In anderen Ländern wie Frankreich oder England gibt es unbefristet Beschäftigte auf der Ebene der Dozenten. Maître de Conference oder Lecturer sind festangestellt und tragen einzig zur Sicherung des Lehrangebots bei. In Deutschland wurde diese Ebene, ehemals Akademische Ratsstellen, de facto ersatzlos abgeschafft. Den Dozenten, die die Lehre als Berufung empfinden, ist der Beruf abhanden gekommen.

Atmo: Schritte

Michael Bahn: Ja, man muss sich bewusst sein, wenn man einen Lehrauftrag annimmt, dass der natürlich immer nur ein Semester lang geht, sechs Monate. Dass man dann möglicherwiese keinen neuen bekommt.

Atmo: Schritte

Olaf Jann: Man weiß nicht, was man in einem halben Jahr macht, man weiß nicht wo man in ´nem halben Jahr ist. Und vor diesem Hintergrund kann man eigentlich nicht vernünftig wissenschaftlich arbeiten. Also, d.h. es gibt überhaupt keine Planungssicherheit.

Atmo: Schritte

Michael Bahn: Also Krankenversicherung, Sozialversicherung etc, alles, was da anfällt, muss man selbst bestreiten, von dem was man irgendwie irgendwo bekommt.

Atmo: Schritte

Rahel Jaeggi: Wir sind also Jahre lang immer davon ausgegangen, dass es alles sehr prekär ist und prekär wird und noch prekärer wird, und dass wenn wir dann mal habilitiert sind, dann wird es ganz schlimm.

Atmo: Schritte

Matthias Neis: Hier in Berlin hat das mal sich jemand angeschaut, in ‘ner Befragung, und die Ergebnisse waren relativ erschreckend. Ich glaube weniger als 40 % waren überhaupt krankenversichert aus einem Beschäftigungsverhältnis heraus, sondern über Familienversicherung oder anderes. Das Durchschnittseinkommen betrug bei einem Drittel etwa 600€ und bei über 50 % unter 1 000 €. Bei 600 € sind Sie natürlich ganz schnell im Aufstockerbereich drin. Also das sind Verhältnisse, die wirklich tragende Teile der Lehre bewältigen, in wirklich prekärsten Situationen.


Sprecherin: Nicht nur, dass diese prekären Beschäftigungsmethoden an der Tagesordnung sind, erschwerend kommt hinzu, dass die Angebote der Lehrbeauftragten in sehr vielen Fällen kapazitätswirksam sind. Das bedeutet, dass die Hochschulen sie zu ihrem Mindestlehrangebot zählen und eben nicht als zusätzliches Angebot für die Studenten.
Kultusministerkonferenz, Deutscher Hochschulverband, Hochschulrektorenkonferenz und der Wissenschaftsrat sind sich laut einer Studie des Instituts für Hochschulforschung Wittenberg 2010 einig darüber, dass zusätzliches Personal in der Lehre notwendig ist. Ein Konsens konnte bis heute nicht gefunden werden, denn dazu bedürfte es einer strukturellen Neugliederung der Hochschulen. Deutschland tut sich schwer, während 100 000 Lehrende am Existenzminimum leben und arbeiten und immer mehr Studenten den Traum von der „Wissenschaft als Beruf“ träumen.

Matthias Neis: Da ist dann plötzlich die große Wegscheide, entweder man erreicht sie, vielleicht 10 Prozent der Leute tun das. Oder man erreicht sie nicht und steht dann plötzlich vor einem großen Stoppschild. Ist aber möglicherweise Weise Anfang Vierzig, Mitte Vierzig, bevor einem dann wirklich klar wird, dass wird nichts mehr mit der Professur und was passiert denn dann. Und das ist eine Frage, wo sich sämtliche Institutionen fein zurückhalten.

Olaf Jann: Das ist eine völlig brutale Art einerseits mit Menschen umzugehen, es ist aber auch grundsätzlich natürlich auch eine brutale Art wie Universität überhaupt mit ihren Angestellten umgehen. Man geht ja eigentlich davon aus, dass Arbeitgeber auch eine gewisse Fürsorgepflicht eigentlich für ihre Leute haben, aber wie sozusagen an Universitäten auch mental damit umgegangen wird, dass dieses Problem überhaupt nicht wahrgenommen, nicht thematisiert wird, nicht anerkannt wird, dass es diese Probleme gibt, ist völlig skandalös.

Atmo: Schritte

Michael Bahn: Ich habe überlegt, ob ich Hartz IV beantragen würde, aber das funktioniert deswegen nicht, weil ich Promotionsstudent bin. Wenn ich promoviere, d.h. ich stehe dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, deswegen bekomme ich kein Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenagentur sagt auch ganz klar, dass Hartz IV nicht dazu gedacht ist, um Promovierende durchzubringen. Hartz IV ist kein Stipendium. Also das fällt völlig flach.
Der Vizepräsident für den wissenschaftlichen Nachwuchs sagt zu uns: "Gehen Sie woanders hin. Potsdam bietet Ihnen keine Stellen. Gehen Sie woanders hin! Suchen Sie sich Stellen! Seien Sie mobil! Sie müssen jung und flexibel sein!"

Musik: Flat Earth Society „Naar de Emmalaan“

Sprecher:
Kapitel 5: Sanctus Benedictus – Wir wollen etwas tun

O-Ton Adorno: Meine These dazu würde lauten, dass im Innersten alle Menschen, ob sie es sich zugestehen oder nicht, wissen, es wäre möglich. Es könnte anders sein.

Atmo: Demogeräusche

Sprecherin: Auf deutsche Nachwuchsakademiker wirken inzwischen tatsächlich gewisse Fliehkräfte. Zwar zählen Statistiker in Deutschland nach wie vor ein relatives „Brain Gain“, d.h. es ziehen mehr Hochqualifizierte aus dem Ausland hinzu, als deutsche Akademiker weg, doch wenigstens vorübergehend sehen viele junge Wissenschaftler für sich in anderen Ländern bessere Perspektiven.
Einige von denen, die bleiben wollen, haben angefangen sich zu organisieren und sind entschlossen, für eine Verbesserung ihrer Lage zu kämpfen.
Das kann frustrierend und riskant sein, denn die Aktivisten gefährden damit die eigene Karriere. Doch weniger als 5€ Stundenlohn wirken motivierend, etwas zu tun.

Atmo: Demogeräusche

Sabine Volk: Ich hatte 60 Studentinnen und Studenten in meinem Kurs. Na, wir haben da schon mal zuvor geahnt wie viel wir als Stundenlohn wohl bekommen. Als tatsächlichen Stundenlohn. Und das hat uns motiviert etwas zu verändern an der Gesamtsituation.
Michael Bahn: Erst einmal hat es uns erschreckt.
Sabine Volk: Ja, natürlich!

Michael Bahn: Es muss ja! Wie es immer so schön heißt. Aber um diesen "es muss ja" ein Stück entgegenzutreten, haben wir dann auch gesagt: Nein, wir müssen etwas tun. Und deswegen die Initiative.

Sprecherin: 2010 lernte ich die Initiatoren der Intelligenzija Potsdam, Sabine Volk und Michael Bahn, kennen. Wir trafen uns an einem schwülen Sommernachmittag in einem 14m² großen Büro, das sie sich mit 12 anderen Lehrbeauftragten teilten. Immerhin hatten sie eins, was für viele Lehrbeauftragte nicht selbstverständlich ist.

Sabine Volk: Es ist uns wichtig, uns zu engagieren, um die Situation zu verbessern. Wir haben nichts mehr zu verlieren. Das ist der Punkt. Und wir haben irgendwann festgestellt, wir haben auch keine Angst mehr.
Die ganzen Zuschriften, die uns über die Jahre ereilt haben, haben uns dazu gebracht, zu überlegen, dass wir die Initiative ausweiten auf ganz Deutschland, eigentlich sogar auf ganz Europa, denn wir haben auch aus anderen Ländern Zuschriften bekommen. Es scheint wirklich eine große Not zu herrschen und es scheint viele Menschen zu geben, die darauf warten, dass mal eine Bewegung sich in Gang setzt, um diese ganzen Missstände aufzudecken. Gerade die Bildungsrepublik Deutschland, die sich das so auf die Fahne schreibt, da sieht’s an allen Ecken und Enden so mau aus und so schlecht aus, ja, dass die Leute eben da sehr froh waren, dass sich was bewegt und dass sich was tut.
Und deshalb auch die Petition, die wir dann ans Wissenschaftsministerium geschickt haben. Wir wussten von vornherein, dass wir da keine positive Antwort erhalten werden. Aber was wir geschafft haben, wir haben über 1200 Unterschriften gesammelt.

Sprecherin: Das ist natürlich nur ein Anfang, zumal keine anerkannte gewerkschaftliche Vertretung wie ver.di oder die GEW sich für die Interessen der Lehrbeauftragten stark macht. Lehrbeauftragte sind keine Angestellten der Hochschule. Sie sind Honorarkräfte und gelten deshalb als Selbständige. Und um die kümmern sich die Gewerkschaften nicht. Sie bemühen sich allenfalls um neue Tarifverträge für wissenschaftliche Mitarbeiter, die immerhin Angestelltenverträge haben.
Wenn allerdings die Etats der Hochschulen von der Politik nicht aufgestockt werden, bedeuten neue Tarifverträge, dass Lehraufträge in Zukunft noch häufiger unbezahlt bleiben.
Ein Dilemma.
In ihrer Petition fordert die Intelligenzija Potsdam neben der Verdoppelung der Aufwandsentschädigung für einen Lehrauftrag von 540€ auf 1080€ pro Semester, vor allem auch die Anerkennung von Lehrbeauftragten als Mitglieder der Universität. Sie fordern mehr Planungssicherheit in dem Sinne, dass Lehraufträge über mehrere Semester vergeben werden. Langfristig sollen die prekären Beschäftigungsverhältnisse der Lehrbeauftragten in feste Stellen übergehen.

Sabine Volk: Wir haben eine breitere Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisiert und wir haben klar gemacht, dass es uns gibt und dass wir nicht wegzudiskutieren sind, dass wir nicht zu übersehen sind und dass wir uns auch nicht in Luft auflösen durch parteipolitisches Geplänkel und sich Verantwortung hin und herschieben.

Atmo: abschwellende Demogeräusche

Sprecherin: Auch in Berlin haben einige Lehrbeauftragte bereits vor zehn Jahren begonnen, sich zu organisieren. Sie kämpfen mit vergleichbaren Problemen wie die Lehrbeauftragten. Elisabeth Meyer-Renschhausen gehört dazu.

Elisabeth Meyer-Renschhausen: Also ich hab noch nicht ein einziges Mal erlebt, dass (lacht) ich als PD oder Lehrbeauftragte in irgendein Gremium gebeten worden wäre. Das Institut für Soziologie der FU Berlin, das wurde ja quasi abgewickelt seit der Wende. Die haben aber 32 Privatdozenten am Institut f. Soziologie der FU Berlin, was macht man jetzt mit denen. Also kriegten wir vor einer Weile mal einen Brief: Es wäre ihnen dann jetzt Recht, wenn wir jetzt nicht mehr unterrichten würden und da sie ja schon wussten, dass wir in der Presse szs. schon als Grüppchen auftraten, als Initiative Berliner Privatdozenten, haben sie dann geschrieben, ohne dass wir die Rechte als Privatdozenten verlieren würden.

Sprecherin: Elisabeth Meyer-Renschhausen hat zuletzt als Mitherausgeberin das Buch „Zur Kritik Europäischer Hochschulpolitik“ vorgelegt. Die Berliner Privatdozenten fordern eine Erhöhung der Aufwandsentschädigung von aktuell 153€ auf 6000€ pro Semester. Also 1000€ pro Monat. Was im ersten Moment nach einer saftigen Forderung klingt, ist eigentlich recht bescheiden und unterstreicht nur die Absurdität der aktuellen Situation. Die Regelung zur „Entlohnung“ von Privatdozenten gilt seit 1973 zumindest in Berlin unverändert.
Sie befürchten, dass auf der Grundlage des General Agreement on Trades and Services von 1995 der Bildungssektor privatisiert und zu einem Dienstleistungsbereich degradiert wird. Zwar sind in Deutschland weite Teile des Bildungssystems noch vor den Kräften des freien Marktes geschützt, doch ausgerechnet der Bereich der universitären Lehre ist es nicht.

Musik: Cinematic Orchestra „Familiar Ground“

Atmo: Herzschlag Rhythmus der Musik


Sprecher:
Kapitel 6: Agnus Dei - Was die Nächte finster macht

O-Ton Erich Fromm: Das Symptom ist ja wie der Schmerz, nur ein Anzeigen, dass etwas nicht stimmt. Glücklich der, der ein Symptom hat. Wie glücklich der, der ein Schmerz hat, wenn ihm etwas fehlt. Wir wissen ja, wenn der Mensch keine Schmerzen empfinden würde, wäre er in einer sehr gefährlichen Lage.


Sprecherin: Die gefühlte Fallhöhe für Lehrbeauftragte und noch mehr für Privatdozenten ist enorm hoch. Wie für viele andere auch, steht hinter dem Szenario des möglichen Scheiterns, die Frage nach dem „Was kommt dann?“. So abgehoben oder weltfremd uns ihre Forschungsprojekte manchmal auch vorkommen mögen, so real und vertraut sind ihre Ängste.

Atmo: Herzschlag

Dirk Linck: Für mich wäre das Schlimmste, das Verwaltetwerden. Also mein größter Horror ist nicht so sehr auf Geld, ich kann, glaube ich mit unheimlich wenig Geld auskommen. Aber ich habe ganz große Schwierigkeiten, wenn man zum Beispiel rein geraten würde in dieses System von Hartz IV oder selbst die ganz normale - ich war mal ein halbes Jahr arbeitslos - dieses ganz normale: Termin haben beim Arbeitsamt. Das ist etwas, das mich innerhalb von Wochen in eine Depression bringen kann. Und das hat was mit dem Gefühl des Verwaltetwerdens und des Entmachtetseins zu tun. Zu diesem Verwaltetwerden gehört z.B. die Einschränkung der Mobilität. Ich halte es auch für grundgesetzwidrig, aber es ist eben ein Faktum. Dieser Terror des Erreichbarseins. All diese Dinge von denen ich glaube, dass sie rechtlich nicht zu halten, ethisch nicht zu verantworten, menschlich nicht zu ertragen sind, das sind die Dinge, die ganz oben stehen. Also das Materielle ist sicher unangenehm, aber ich habe in diesen Jahren, in denen ich frei gearbeitet habe, wenn das mit einem Auftrag nicht geklappt hat, ich habe so viele Monate verbracht, wo ich ab dem 15. von Margarinebrot gelebt habe.

Atmo: ruhiger Herzschlag

Michael Bahn: Also, ich rechne nicht mit einer Art klassischen akademischen Laufbahn. Ich möchte sie allerdings auch nicht beschreiten. Mittlerweile.
Also, für mich ist ganz klar, ich schließe meine Promotion ab. Ich würde sehr gern weiterhin lehren. Aber rein im Forschungs- und Lehrbereich zu arbeiten, das funktioniert für mich nicht. Ich glaube, der Traum ist in Teilen durch die Situation auch ein bisschen gestorben.

Atmo: Herzschlag

Dirk Linck: Heute ist das wirklich Gemeine, weil es die Leute hilflos macht, zu sagen: „Ja wenn’s nicht geht, dann geht’s nicht. Wir brauchen Euch nicht. Funktionieren tut’s auch ohne Euch“.

Atmo: stolpernder Herzschlag

Sabine Volk: Ja also, in unserer Leistungsgesellschaft wird viel mit Angst gearbeitet und es funktioniert ganz viel über diese Angst, die dauerhafter Begleiter wird. Und aus dieser Spirale müssen wir rauskommen.

Atmo: Herzschlag, schneller werdend

Dirk Linck: Ja das ist dann eben etwas, das die Nächte finster macht. Also in der Tat, da kommt dann die Panik. Wenn man weiß, dass eben, wenn es scheitert, scheitert es total.
Bei mir - ich glaube, auch bei anderen Menschen - die Panik ihre Zeit in der Nacht hat, geht das schon auch auf Beziehungen und das Privatleben. Also, wir organisieren uns dann ja so, dass wir am Tag funktionieren und die Panik kommt immer nachts. Diese schlaflosen Nächte, wo man sich überlegt, wie wird es denn weitergehen? Wird es weitergehen?

Atmo: wenige Herzschläge

Sabine Volk: Meine Mutter ist auch selbst sehr engagiert, auch politisch engagiert und unterstützt mich. Es ist die Person, die mir Halt gibt, ohne die ich das was ich mache, überhaupt gar nicht machen könnte. Dafür bin ich täglich dankbar. Gerade wenn mich die Panik ereilt, die jeden ereilt in den Nächten, in denen klar wird, dass man keinerlei Absicherung hat, ist sie für mich rettend. Auf jeden Fall.

Atmo: wenige Herzschläge

Michael Bahn: Nichts desto trotz komme ich irgendwann dann abends nach Hause und dann sitze ich vor einem leeren Kühlschrank, wenn ich nicht irgendwie anders abgesichert bin und frage mich natürlich, kaufe ich mir jetzt was zu essen als nächstes oder zahle ich die Stromrechnung. Insofern kann ich nachvollziehen, dass man grade dann abends, wenn der Tag dann sackt, wenn diese Resonanz aus den Seminaren nicht mehr nachhallt, die Realität auf einen einbricht.

Atmo: wenige Herzschläge

Dirk Linck: Also, mein Verdacht wäre schon, dass wenn man also die schärfste Differenz zwischen Leuten, die in ungekündigten, unbefristeten Stellen sitzen und den Leuten in prekären Verhältnissen definieren müsste, würde man es an der Nacht festmachen können. Ich glaube, die guten Nächte sind der Unterschied der Privilegierten zu denjenigen, die Ängste haben.

Atmo: Herzschläge verschwinden in folgender Musik

Musik: Cinematic Orchestra „Dawn“

Sprecher:
Kapitel 7: Lux Aeterna – Zeit, aufzuwachen

O-Ton Adorno: Ach das sind doch Utopien. Ach das ist doch nur im Schlaraffenland möglich.

Sprecherin: Die Politik riskiert nicht nur ganze Generationen von Wissenschaftlern zu verschrotten, sondern korrumpiert die Institution Hochschule insgesamt.
Haben wir Humboldt in Bologna verloren?

Sabine Volk: Also ich habe meinen Lehrauftrag für dieses Semester zurückgegeben noch bevor das Semester anlief, also das jetzige Sommersemester 2011. Ich saß am Schreibtisch und habe gerade meine letzten Arbeiten korrigiert, also aus dem vergangenen Semester. Naja und habe meine Dissertation noch nebenbei betrachtet, die im Grunde fertig ist und noch den letzten Schliff bräuchte und habe gemerkt: Ich komme mit allem nicht mehr zurande. Das ist verantwortungslos meiner Tochter gegenüber, die ist mit Sicherheit auch eine große Leidtragende des Zeitmangels und auch des Stresses und der psychischen Situation, der ich dauerhaft ausgesetzt bin, in der dauerhaften Unterbezahlung. Es ist verantwortungslos den Studierenden gegenüber, die auch eine Dozentin vorgesetzt bekommen, die nicht in ihrer Kraft steht und zuletzt verantwortungslos mir selbst gegenüber, weil ich gemerkt habe, es macht mich kaputt.
D.h. also immer 100% geben und gleichzeitig keinerlei Absicherung erfahren, das ist was, ja, damit brauche ich meine Kräfte auf. Ich habe letztlich den Schlusspunkt gesetzt bevor ich zusammen gebrochen wäre.
Ich lehre unglaublich gerne, das merke ich auch jetzt. Es fehlt mir die Lehre, aber nicht um diesen Preis. Das geht nicht.

Dirck Linck: Es war eine dieser typischen krankheitsbedingten Lebenskrisen, die ich im Anschluss an Siegen hatte, wo ich sehr krank geworden bin, so krank, dass nicht klar war, ob ich es überleben würde und in so einer Phase, die sich dann auch relative lange hinzog, wo diese Unklarheit blieb, ob ich die Krankheit überstehe oder nicht, verändern sich einfach die Perspektiven auf die eigenen Vergangenheit, aber auch auf die Zukunft, auf die Institution, aus der man gekommen ist. Es sind diese ganz kitschigen Verlagerungen von Schwerpunkten, die wirklich in jedem Heinz Rühmann Film auftauchen (lacht), wo der kleine Mann in einer schweren Lebenskrise anfängt, die Dinge neu zu gewichten und der berühmte Satz in solchen Filmen ist, glaube ich, dass die kleinen Dinge wichtiger werden. Klischees haben aber ihren wahren Kern und es gibt solche Umgewichtungen im Leben. Und in der Tat war diese Krankheitsphase, die Phase, in der ich eine Entscheidung für mich getroffen habe, nämlich die Entscheidung nicht zu habilitieren.

Matthias Neis: Prekär bedeutet ja vom Wort nichts anders als gefährdet oder unsicher. Und vielleicht kann man wirklich von dieser ganz simplen Dudenbedeutung kommen: Eine prekäre Situation ist eine der beständigen Unsicherheit im Leben und zwar darum geht es: um Lebensverhältnisse. Und Prekarität, ja, gab es eigentlich immer. Das Besondere an dieser Prekaritätsphase, die wir erleben, ist, dass ihre Quelle die Erwerbsarbeit ist.

Musik: Cinematic Orchestra „All things to all men“

Rahel Jaeggi: Also ich hatte im Grunde, weil Du ja wissen wolltest, wie es läuft, wenn es nicht prekär läuft, wenn ich mir das so rückwirkend überlege, ist es wirklich sehr, also ich meine, es ist so glatt gegangen, wie man gar nicht glaubt, dass es glatt gehen kann. Das ist aber eher ein riesengroßes Glück und so etwas wie sechs Richtige im Lotto.

Sprecherin: Rahel Jaeggi promovierte 2002 und habilitierte 2009. Sie wurde 2010 auf einen Lehrstuhl für praktische Philosophie der Humboldt Universität Berlin berufen und ist damit eine von derzeit 7 300 Professorinnen in Deutschland. Sie hat es geschafft. Übrigens: Gerade einmal 18 Prozent der Professorenstellen sind mit Frauen besetzt.

Michael Bahn: Letztendlich habe ich an der Uni Potsdam dann ein Langzeitstipendium bekommen, d.h. ich bin für 12, 24, 36 Monate abgesichert. Deswegen kann ich es mir auch erlauben noch einen Lehrauftrag zu geben nebenbei, weil ich diesen Lehrauftrag nicht zwingend brauche, um mich zu finanzieren.

Elisabeth Meyer-Renschhausen: Das wissen wir doch in der ganzen Gesellschaft, dass die Gesellschaft sich auflädt und immer mehr Aggressionen entstehen, also einerseits Stress und sei es dessen, weil man ganz sicher zu den Pionieren der künftigen Altersarmut gehört (lacht). Also weil das irgendwie ganz klar ist.
Ich meine, ich bin jetzt Künstlersozialkasse, also da zahl ich ja nicht viel ein, deswegen wird’s auch nicht mehr. Ich habe überhaupt gar keine Sozialversicherungsjobs mehr. Das gibt’s doch in Berlin doch gar nicht mehr. Und die sind dann eben Trödler oder Kebapbesitzer oder eben Privatdozenten oder freischaffende Künstler.

Dirck Linck: Ich habe dann irgendwann begriffen, die Uni funktioniert nach den gleichen Gesetzen, nach denen Gesellschaft funktioniert und der abhängig Beschäftigte an einer Uni ist in einer vergleichbaren Lage wie jeder abhängig Beschäftigte im Kapitalismus. Er hat halt relativ wenig Möglichkeiten sich zu widersetzen. Er hat in bestimmten Bereichen sogar weniger, weil es gibt eben ganz selten Streiks von Dozierenden zum Beispiel.

Rahel Jaeggi: Im Negativen ist es so, dass genau diese Berufsgruppe vormacht, wie es mittlerer Weile jetzt ja auch alle möglichen anderen Leute trifft. Genau diese Zumutungen. Du musst dich ständig selbst erfinden und dich dann möglichst so erfinden, dass der Markt für dich dann auch den Platz noch hat.

Elisabeth Meyer-Renschhausen: Also die ganzen szs. von Lissabon bis Bologna bereiten die Unis auf ihre Privatisierung vor, nicht zuletzt natürlich, dass die Unis jetzt gemanagt werden. Also wenn man Unis kaputt kriegen will, dann auf diese Art und Weise.
Und hier wird auch immer mehr geschwiegen, damit man sich die Karriere nicht kaputt macht und insofern verschwindet eigentlich das, was wir hatten - eine freie Forschung und Lehre verschwindet.

Dirk Linck: Es muss eine grundsätzliche Diskussion darüber stattfinden, welche Universität wollen wir. Wir haben die Universität im klassischen Sinne abgeschafft. Und jetzt müssen wir uns entscheiden, wollen wir sie wieder einführen oder wollen wir akzeptieren, dass es keine Universitäten in Deutschland und vermutlich auch in Europa mehr gibt.

Adorno: Was Utopie ist, ja, das ist die Veränderung des Ganzen.
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